Gedichtvergleich Georg Trakl „Winterabend und Joseph Eichendorff „Winternacht“
Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Land die Abendglocke läutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.
Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Golden blüht der Baum der Gnaden
Aus der Erde kühlem Saft.
Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinerte die Schwelle.
Da erglänzt in reiner Helle
Auf dem Tische Brot und Wein.
Verschneit liegt ringsum die ganze Welt,
Ich hab nichts, was mich freuet
Verlassen steht der Baum im Feld,
Hat längst sein Laub verstreuet.
Der Wind nur geht bei stiller Nacht
Und rüttelt an dem Baume,
Da rührt er seinen Wipfel sacht
Und redet wie im Traume
Er träumt von künftger Frühlingszeit
Von Grün und Quellenrauschen
Wo er im neuen Blütenkleid
Zu Gottes Lob wird rauschen.
In dem Gedicht „Ein Winterabend“ von Georg Trakl aus dem Jahre 1918, geht es um die Gaben des alltäglichen Lebens, die Heimkehr ins traute Heim und der Wanderer Einkehr in eine Möglichkeit der Übernachtung.
Das aus dem Expressionismus stammende Gedicht lässt sich in das Muster der Aussagen dieser Epoche einordnen, weist deutliche Merkmale der Sehnsucht auf und ist stark religiös gekennzeichnet. Das aus vier Strophen mit jeweils vier Zeilen bestehende Gedicht lässt sich zwar in unterschiedliche Teile teilen, doch das Hauptthema ist klar zu erkennen: ein Wanderer kehrt heim. Im ersten Abschnitt beschreibt der Dichter eine Szene, von der man annehmen kann dass sie auf keine spezielle Szenerie anspielt. Eine winterliche Atmosphäre („wenn der Schnee ans Fenster fällt“) am Abend („Lang die Abendglocke läutet“).
Der zweite Abschnitt wird erneut von einer Beschreibung angeführt („Mancher auf der Wanderschaft“), wobei man sich hier auf die Allgemeinheit der Wanderer bezieht. Weiter erläutert Trakl die Ankunft des Wanderers am „Tor auf dunklen Pfaden“, wo er vom „Baum der Gnaden“ empfangen wird. Eine heimelige Atmosphäre erwartet den Rückkehrer, man fühlt sich wohl. Im dritten Abschnitt wird Georg Trakl etwas spezifischer, personifiziert jedoch nicht „den Wanderer“ sondern nennt nur allgemein „Wanderer“, durch das Weglassen des Artikels der oder ein. Hier kommt zum ersten Mal ein Gefühl ins Spiel. Der „Schmerz versteinert die Schwelle“, ein klares Merkmal des Expressionismus. Ausdruck und tiefe Emotionen sind ausschlaggebend für Gedichte dieser Epoche, wobei das Georg Trakls’ etwas aus der Reihe fällt. Hier wird nur wenig Emotion gebildet, der Schmerz bleibt ein einzelnes Gefühl, wird jedoch durch die Metapher und das übertragen auf die ganze Schwelle zur starken Macht. Die Schwelle trennt etwas, trennt Haus und Hof voneinander.
Im Gedicht steht sie für die Trennung der Vergangenheit und der Gegenwart, vielleicht auch der Zukunft. Die letzten beiden Zeilen weisen wieder stark religiöse Symbole auf („Tische“ „Brot und Wein“). Der Tisch scheint auf eine große Tafel hinzuweisen auf der die beiden wichtigsten Symbole der Bibel stehen, Brot und Wein, die für den Leib und das Blut Jesu stehen und an sein letztes Abendmahl erinnern. Das Gedicht steigert sich von Strophe zu Strophe, beginnt mit einer kalten Atmosphäre und endet in gemütlicher Runde bei Tische, an der alle teilen und froh sind.
Im Jahre 1918, das Ende des ersten Weltkrieges, kehrten viele der überlebenden Soldaten heim, Frauen erwarteten sie, ungewiss der Verbleib des Liebsten und groß der Schmerz. Umso größer die Freude wenn der Heimkehrer in der Tür steht („auf der Schwelle“) und Geborgenheit antrifft. Auch die Wanderer waren auf der Suche nach einer Möglichkeit zur Übernachtung und waren zu den schweren Zeiten des Krieges froh über jedes Mahl an dem die Grundnahrungsmittel geboten wurden.
Das Gedicht „Winternacht“ von Joseph von Eichendorff aus der Epoche der Romantik, besteht aus drei Strophen mit jeweils vier Zeilen. Das Reimschema ist klar erkennbar und lautet Kreuzreim. Im Gedicht wird eine winterliche Landschaft von einem lyrischen Ich betrachtet, welches besonders auf „den Baum“ blickt.
Im ersten Abschnitt wird durch das Adjektiv „verlassen“ und Bausteine wie „nichts was mich freuet“, sowie „hat längst sein Laub verstreuet“ eine gewisse Trostlosigkeit vermittelt, alles ist freudlos und hat keinen Sinn. In der zweiten Strophe „rüttelt der Wind am Baume, diese Intensität wird durch Alliterationen „rüttelt, rührt, redet“ verstärkt, eine Intensität wird aufgebaut. Außerdem wird hier durch die Dunkelheit eine Ungewissheit geschaffen die durch das „Reden im Träume“ intensiviert wird.
Die dritte Strophe beginnt mit einer Personifizierung des Baumes durch „Er“. Im weiteren Verlauf der ersten Zeile des dritten Absatzes träumt der Baum von „künftiger Frühlingszeit“ was für ihn eine bessere Welt darstellt, da er dann wieder Blätter besitzt und geschützt ist. Auch ist der Klang der Strophe von einer frohen Euphorie, der Baum freut sich auf die bevorstehende Regenerierung im Frühling. In der letzten Zeile taucht „Gottes Lob“ auf und verleiht dem Ganzen eine religiöse Note.
Das Metrum, der Jambus, gibt dem Gedicht eine durchlaufende Ruhe, welche durch das Präsens unmittelbar und plötzlich erscheint.
Im Gedicht werden zwei der Sinnesorgane des Menschen zwar nicht mit Namen benannt jedoch kann man sie klar heraus filtern. Das sind das Sehen („verschneit liegt ringsum die Welt“, „verlassen steht der Baum im Feld“) und das Hören („Quellenrauschen“ und „Zu Gottes Lob wird rauschen“). Hier kann sich der Leser identifizieren, er fühlt sich integriert.
Im Gedicht „Winternacht“ von Joseph von Eichendorff finden sich typische Merkmale der Epoche der Romantik wieder. So wird eine enge Verbundenheit zur Natur hergestellt. Die Romantiker begeisterten sich für die Schönheit und Wildheit der Natur, genau wie im Gedicht beschrieben. Im 18. Jahrhundert wurde der Begriff der Romantik vor allem durch wilde, schöne Landschaft und die Empfänglichkeit des Menschen dafür definiert, im 19. Jahrhundert vor allem durch den Begriff der Poesie. Auf das Gedicht „Winternacht“ lässt sich die Definition des 18. Jahrhunderts übertragen, sie spiegelt die Idee der Romantiker wieder.
Die beiden Gedichte von Georg Hackl und Joseph von Eichendorff haben nicht nur einen ähnlichen Titel, sondern weisen auch äußerlich die gleichen Merkmale auf. So bestehen beide Gedichte aus drei Strophen mit jeweils vier Zeilen. Sie unterscheiden sich zwar im Reimschema (Kreuzreim ~ umarmender Reim) aber sind sie trotz der unterschiedlichen Epochen doch ähnlich. In der Handlung zwar weniger, jedoch ähneln sich die Szenerien der beiden Gedichte stark. Beide handeln von der Jahreszeit Winter und beinhalten das Symbol des Baums, welcher für die Verankerung der Ideologien stehen mag oder aber für die starke Verinnerlichung.
Die Gedichte unterscheiden sich in ihrer Hauptperson, in „Ein Winterabend“ ist es die Wanderschaft, in „Winternacht“ das Symbolik des Baumes, welche personifiziert und dem Leser gegenüber gestellt wird. „Winternacht“ steht für einen längeren Augenblick als „Winterabend“, dadurch empfindet man das von Joseph von Eichendorff verfasste Gedicht vielleicht als impulsiver. Mir persönlich geht es so, denn das aus der Romantik stammende Gedicht beinhaltet deutlich mehr positivere Gedanken und Handlungsmerkmale als das expressionistische Gedicht.
In diesem werden Schmerz und Verzweiflung deutlicher geschildert als in der „Winternacht“. Die Gedichte enden beide mit einer religiösen Symbolik, wobei sich der Leser eher mit den Symbolen des „Brot und Wein“ identifizieren kann, denn sie sind geläufig und jeder kennt sie aus dem Gottesdienst oder der Bibel. Jesu letztes Abendmahl mit seinen Jüngern ist ein Bild, geprägt von vielen Symbolen des Schmerzes und des Leids, jedoch auch ein Bild der Erlösung. Und die Erlösung war für die Menschen aus dem Jahre 1918 wohl das Beste was geschehen konnte.
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